Beziehungen und unsere ganz persönlichen Muster

Gestern hatte ich ein sehr langes Gespräch mit einer jungen Frau, die ich seit 16 Jahren, aus Zeiten meiner Jugendhilfe, kenne. Wir stehen uns heute noch sehr nahe und manchmal bittet sie mich um Hilfe bzw. einen Rat. In unserem Gespräch ging es um Beziehungen und darum, was genau es braucht, damit eine Beziehung gelingen kann.

Sicher ist Ihnen genauso klar wie mir, dass Beziehungen (grundsätzlich jede Form der Beziehung ist gemeint, jetzt beziehe ich mich speziell auf die Paarbeziehung) es in sich haben und manchmal alles andere als leicht sind. Am Anfang, wenn wir frisch verliebt sind – eine rosarote Brille tragen, den anderen begehren, uns mit ihm/ihr alles vorstellen können, uns von der besten Seite zeigen und uns ein wunderbares gemeinsames Leben ausmalen können – dann ist die Welt noch in Ordnung. Wenn sich dann aber die Schmetterlinge so nach und nach verabschieden, tauchen meist die ersten Momente auf, in denen wir beginnen, unseren Partner/unsere Partnerin zu hinterfragen. Beginnende Komplikationen treten auf.

Im Laufe der Zeit wird es komplizierter und komplizierter. Manche Menschen nehmen es als Grund für eine Trennung, andere Menschen bleiben in der Beziehung und versuchen zu retten, was zu retten ist. Das ist leider meist nicht richtig erfolgreich. Und es wird natürlich immer häufiger auch der Versuch einer Paartherapie unternommen. Dem Hören-Sagen nach sind viele solcher Therapien oftmals auch nur „semi“ erfolgreich und Dinge, die das Paar aktiv verändert hat, zeigen sich am Ende auch nur als faule Kompromisse.


Durch jahrelange Analysen meines Umfeldes und meiner Klienten ist in meinen Augen das oberste Gebot in guter Beziehungsführung die „Selbstklärung“ und die „Selbstverantwortung“. Alle Konflikte, die entstehen, entstehen, weil ich selber es so „heraufbeschwöre“. Der Partner ist zu keinem Zeitpunkt für meine Gefühle verantwortlich! Das ist natürlich für viele Menschen jetzt ein sehr schwerer Brocken. DAS impliziert nämlich, dass wir mit uns selbst ins Gericht gehen müssen. Je nachdem, wo wir gerade stehen, ist es natürlich eine schwierige Aufgabe und kann sehr schmerzhaft sein. 

Ich versuche einmal, Ihnen so einfach wie möglich zu schildern, warum wir selber verantwortlich dafür sind, was wir uns kreieren. Wir sind im Alltag sehr unbewusst eingebunden, etwa 95% von dem, was wir tun, ist gelerntes Verhalten und dieses passiert im Alltag automatisch. Wir lernen den Großteil unserer Verhaltensmuster in den ersten sechs Jahren unseres Lebens. In dieser Zeit lernen wir nicht, weil uns jemand sagt, was wir tun sollten, sondern wir lernen durch Fühlen, Beobachten, Atmosphäre und in erster Linie durch unsere Vorbilder, im Normalfall unsere Eltern. Unsere Eltern können uns „wer-weiss-was“ erzählen, wenn sie selber anders handeln, sich merkwürdig benehmen oder widersprüchlich verhalten, dann lernen wir genau dieses und nicht das, was uns gesagt wird. Das prägt unser Verhalten, das beschert uns unsere Glaubenssätze (die uns häufig unser ganzes Leben lang, wie Dogmen, beeinflussen). Und DAS ist auch verantwortlich für unsere Muster. Im Laufe unseres Lebens lernen wir natürlich auch neue Dinge dazu und werfen Altes ab – aber erstmal ist es so, dass wir eine Prägung haben, die uns unser ganzes Leben begleitet.

Wir Menschen sind Gewohnheitstierchen und scheuen Veränderung, das heißt, wir halten sehr gerne und möglichst lange an unseren Mustern fest. Somit betten wir unser Leben auf dieser „Sicherheit“ und suchen uns Beziehungen, die in diese Muster passen. Z.B. wird eine Person, die in der Kindheit Gewalterfahrungen als „gewohnt“ abgespeichert hat, sich meist später wieder einen Partner/eine Partnerin suchen, die ebenfalls gewalttätig ist. Oder jemand der/die z.B. eine depressive Mutter hatte, die viel Aufmerksamkeit benötigte, wird sich später eine ähnliche Beziehungsdynamik suchen. Das klingt natürlich erstmal sehr platt und ist in Wirklichkeit viel subtiler und komplexer, als wir erstmal annehmen. Dennoch sorgen unsere erlernten Verhaltensmuster sehr häufig dafür, dass unser Leben mehr Fluch als Segen ist. 

Um die Komplexität noch etwas zu verschleiern, ist es dann auch noch so, dass wir Menschen leidenschaftlich gerne kompensieren. Um uns nicht damit auseinander setzen zu müssen – was wir wirklich fühlen oder wie es uns wirklich geht – lenken wir uns leidenschaftlich gerne mit Drogen, Arbeit, überdurchschnittlich ausgelebter Fürsorge, Kindern, Masturbation, Pornos, Shoppen etc. ab. Das ist der Grund, warum es noch komplizierter wird, aufzudecken, was wir mit uns selber täglich anrichten. Unsere Art und Weise so zu leben ist dadurch noch unbewusster, nur etwa 5 % dessen, was wir tun, ist uns wirklich klar. Z.B. gerade in diesem Moment mache ich mir nur Gedanken darüber, wie ich Ihnen möglichst klar machen kann, warum Sie sich ihr Leben selber kreieren. Gleichzeitig denke ich normalerweise nicht daran, wie ich jetzt auf diesem Stuhl sitze, wie meine Finger die Tastatur berühren, höre nicht zu wie draußen die Autos vorbei fahren und irgendwo im Haus Stimmen verlauten. Das alles passiert nur unbewusst und automatisch nebenher.

Wir lernen fast alles Wichtige in früher Kindheit, Konfliktverhalten, Umgang mit Gefühlen, Kompensationsverhalten, Sozialverhalten etc. Und wir führen DAS manchmal ein Leben lang so fort, weil niemand uns sagt, warum das so ist und dass das auch anders möglich wäre. Hätten uns unsere Eltern beigebracht, dass ein Stuhl Auto heißt, würde er heute genauso heißen und eben nicht Stuhl. 

Erster Schritt ist es also zu verstehen, dass wir alleine dafür verantwortlich sind, was wir fühlen und wir in die Welt hinaus gehen! Unsere Beziehungen sind dabei immer ein Spiegel und wenn wir uns damit konfrontieren, was er/sie in uns auslöst, dann kann es ein großes Geschenk für unsere Persönlichkeitsentwicklung sein. Klingt doch ganz gut, oder? Leider sieht die Realität alles andere als einfach aus.

Wir haben nämlich eher gelernt, den anderen für unsere Gefühle verantwortlich zu machen und wir lieben diese Illusion. „Du bist schuld, wenn ich traurig bin. Das, was Du machst, ist falsch, sonst würde es mich nicht wütend machen. Wenn Du das machst, dann zerstörst Du unsere Beziehung. Der Sex ist langweilig, weil Du mich nicht richtig befriedigst. Hör auf damit, das nervt. Du nimmst mich gar nicht mehr in den Arm, das tut mir weh…“ Diese Liste der Schuldzuweisungen ist lang.

Damit wenden wir uns von der Chance ab, selber zu lernen, was genau wir selber kreieren. Jetzt wird es etwas komplizierter. Diese Gefühle (nennen wir sie Emotionen), die wir versuchen an den anderen abzugeben, sind häufig nur Stellvertreter für etwas anderes, dass wir eigentlich nicht fühlen „sollten“ und somit auch nicht fühlen „wollen“. Unsere Gefühle wurden in frühster Kindheit manipuliert und unterdrückt. Beispielsweise so: „Indianerherz kennt kein Schmerz“, „Hör auf zu heulen, ist doch gar nicht schlimm“, „Wenn Du hier so ein Theater machst, dann gehst Du auf Dein Zimmer“ etc. Wir sollten die Gefühle nicht fühlen, deswegen setzen wir gelernte Stellvertreter „namens Emotionen“ davor. Das verzerrt dann das ganze Beziehungsspiel und macht es häufig doppelt kompliziert, einen Konflikt miteinander zu klären, weil auf der Oberfläche ein Spiel gespielt wird (Emotionen), was mit der eigenen Wahrheit (Gefühlen) nichts zu tun hat. Und wir glauben uns diese Geschichte eben auch selber, weil sie der Realität entspricht, die wir gelernt haben. Immer wenn wir auf diese Art und Weise unterwegs sind, sind wir reaktiv. Reaktiv bedeutet, emotional zu reagieren – in dem Moment gibts es eigentlich für uns ganz persönlich ein Thema zu bearbeiten. Wir werden nicht reaktiv, wenn uns ein Thema begegnet, welches wir schon „aufgelöst“ haben. Z.B. wenn jemand zu mir sagt, „Du bist doch dumm“, dann gibt es zwei Wege des Erlebens. Entweder bin ich verletzt und werde reaktiv, weil ich tief in mir genau DAS glaube – denn meine Eltern haben mir als Kind etwas derartiges suggeriert. Oder es trifft mich nicht, denn ich weiß, dass ich nicht dumm bin, denn ich habe gelernt, dass ich geliebt werde und bin mir sicher, dass ich schlau bin. Ach eigentlich gibt es noch eine dritte Möglichkeit und zwar die, dass ich mir die Geschichte einrede, dass es mich nicht trifft, aber hinter der Geschichte sitzt eine tiefe Verletzung. Letzteres ist aber auch eine „reaktive“ Weise damit umzugehen.

Hier ein paar persönliche Beispiele, um zu erkennen, welche Gefühle/Themen hinter den Emotionen stecken können: 

Was bedeuten meine Tränen? Früher habe ich häufig geweint, weil ich als Kind gelernt habe, dass ich mich mit diesem Verhalten nicht damit auseinander setzen muss, dass ich einen Fehler gemacht habe. Oder ich habe geweint, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Was bedeutet meine Wut? Ich hatte oft große Wut in mir, habe herumgeschrien und auch mal Sachen kaputt gemacht, dahinter stand der Wunsch, dass ich überhaupt „gesehen“ werde, eine Sehnsucht nach Anerkennung.

Warum werde ich sauer, wenn das alles (z.B. ein Arbeitsablauf) nicht perfekt klappt? Weil ich Wirklichkeit mit dem Perfektionismus versuche, die Kontrolle zu behalten, um mir zu beweisen, dass ich sicher bin und nicht zu fühlen, wie unsicher ich eigentlich bin und mit meiner Angst vor anderen konfrontiert bin.

Es gilt also, wahre Gefühle wieder kennenzulernen und damit aufzuhören, mir selber etwas vor zu machen. Dazu brauchen wir ein Gegenüber und den Mut, dazu wirklich hin zu schauen, jeder für sich und auch miteinander. Es nützt an diesem Punkt nichts, diese Themen auf kognitiver Ebene abzuarbeiten. Denn wir haben sie sehr häufig auch nicht kognitiv gelernt, in den ersten sechs Jahren unserer Kindheit haben wir über Gefühlsebenen gelernt – dorthin müssen wir zurück um uns neu zu orientieren. Wir müssen durch das Fühlen unsere eigene Wahrheit wieder finden.

Was brauchen wir also, um aus dieser Misere heraus zu kommen?

Punkt eins: Selbstklärung – d.h. Verantwortung für mich, mein Verhalten und meine Gefühle übernehmen und damit arbeiten, anstatt dem anderen die Schuld dafür zu geben

Punkt zwei: Meinen Partner/Partnerin als Spiegel dessen, was ICH kreiert habe, zu akzeptieren

Punkt drei: wieder fühlen lernen

Punkt vier: Wohlwollen miteinander 

Punkt fünf: Ehrlich werden

Ehrlichkeit ist wohl eines der kompliziertesten Güter in unserer Kultur, denn eigentlich ist alles darauf ausgelegt, eben DAS nicht zu sein. Wir lieben die Illusion und im Grunde lebt jede/jeder von uns ein kleines System von Lügen in einem großen System von Lügen. Wenn wir unserem Chef sagen würden, was wir denken, dann würden wir unseren Job verlieren. Wenn wir unserem Kunden sagen würden, wie unmöglich er sich wieder verhält, dann würde er nichts mehr kaufen. Wenn der Werbespot im TV einblenden würde, was er eigentlich suggerieren möchte, wäre die Illusion hinüber. Wenn der Staat zugeben würde, dass das Leben eines einzelnen weniger wichtig ist als das Geld eines Großkonzerns, dann würde vielleicht eine Nation zusammenbrechen. 

Alle reden davon ehrlich zu sein und nur die Wenigsten sind es. Hinter der mangelnden Ehrlichkeit steht häufig etwas ganz anderes, etwas, dass wir in unserem Leben nicht dürfen. „Ich darf den anderen nicht verletzen“ ; „wenn ich ihm/ihr das jetzt sage, dann mag er mich nicht mehr“ oder „er flippt richtig aus, wenn er das hört“. Dazu kommt noch, dass wir selber auch nicht wirklich wollen, dass jemand ehrlich zu uns ist. Denn das Annehmen von Ehrlichkeit tut häufig weh und weil wir genau das wissen, versuchen wir – mit allen Mitteln – einer ehrlichen Ansage aus dem Weg zu gehen. Aber es kann auch sehr heilsam sein, genau das zu hören, was wir uns eh schon so lange gedacht haben. 

Niemand hat gesagt, dass Beziehungen einfach sind. Beziehungen, wenn Sie gut laufen sollen, bedürfen viel Arbeit. In erster Linie an uns selber, mit dem was unser gegenüber uns spiegelt. Und natürlich begeben wir uns in Beziehungen, das heisst beide Seiten sind dafür verantwortlich dafür, dass diese Beziehungen funktionieren. Wenn nur einer bereit ist an sich und der Beziehung zu arbeiten, ist sie zum scheitern verurteilt.

Vermutlich bleiben bei Ihnen noch Fragen zu diesem Thema offen, gerne richten Sie diese im nächsten Gespräch an mich. 

Herzlichst Tanja Hoyer 

1 Kommentar zu Beziehungen und unsere ganz persönlichen Muster

  1. Ach ja die Gefühlswelt ist schon ein wirklich schwieriges Thema, und ja da wird es nie ein Ende geben. Jede Begegnung mit einem Menschen kann schon ein Abenteuer sein, oder zum völligen Chaos führen…

    Mit einander reden oder gar über Gefühle reden fällt den meisten Menschen schwer, weil die Gesellschaft das kaum möchte. Sie gibt es vor, aber im Grunde tun sie es nicht wirklich…

    Gefühle auch zu lernen und zu zulassen ist schwer und wenn man den starken Willen dazu hat, schafft man das auch…und zum Glück ja gibts ja Menschen wie dich die ein immer mal wieder darauf stoßen…

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